Weihnachtsgeschenk und Rückblick

Nicht viele deutsche Rugbyspieler und Spielerinnen erleben so einen Moment, einen Sieg im Mutterland dieses Sports – uns war er vergönnt! Und wenn sich die Analen nicht irren, waren wir das erste Mädchenteam überhaupt, dem das gelang.

Am 10. Dezember 2022 wurde in London erstmals der „Christmas Truce Shield“ ausgespielt. Diese Trophäe soll an den Weihnachtsfrieden 1914 zwischen deutschen und britischen Soldaten im 1. Weltkrieg erinnern und jedes Mal ausgespielt werden, wenn Richmond FC Mädchen auf Mädchen der Spielgemeinschaft BSV 1892 Rugby und Berliner Rugby Club treffen.

Bei eiskalten Temperaturen, um den Gefrierpunkt aber bei strahlendem Sonnenschein über Richmonds Deer Park, legten die Berlin Rugby GRRLS los wie die Feuerwehr. Kapitänin Maria Armerding rückte neben Lena Lengemann und Carlotta Poßner in die erste Reihe. Isi Rapp und die beiden Startformationsdebütantinnen Lotta Bloch von Blottnitz und Ellen Sichelschmidt sorgen dahinter für den nötigen Druck. Welle um Welle rollten die Berliner Angriffe Richtung Malfeld der SG Richmond FC/London Irish. Bereits nach sieben Minuten wurden unsere Bemühungen belohnt, nachdem Haklerin Lena Lengemann sich ganz lang gemacht hatte. Und wiederum zwei Minuten später punktete deren Schwester Lotti, unser Scrum-Half, zum 10:0.

Mit diesem Stand ging es in die Pause. Wer gedacht hatte, die Engländerinnen würden nun den Spieß umdrehen, wurde eines besseren belehrt. Emma Luca Kerschischnick rückte auf die linke Seite und brachte nun gemeinsam mit Antonia Techau die Gegnerinnen noch mehr unter Druck. Bereits kurz nach Wiederanpfiff punktete Sala Ali, die für die angeschlagene Karla Veelken ins Team gekommen war, zum 15:0 und als es schien, der Anschluss der Londonerinnen sei nur noch eine Frage der Zeit, ging die stets gefährlich wirkende Klara Drake Günther über die Linie und stellte den 20:0 Endstand fest.

Wer nach dem Spiel im Kreis der Spielerinnen stand, wird diesen Tag nie vergessen. Der Jubel und die Freude waren groß, und auch die eine oder andere Träne wurde verdrückt.

Was kaum einer für möglich gehalten hatte, war wahr geworden. Der „Christmas Truce Shield“ ging 14 Tage vor Weihnachten nach Berlin.

Es war eine Reise mit Hindernissen und Vorgeschichten. Am 22. März 2020 trafen sich zum ersten Mal acht Berliner Rugbymädchen auf dem Sportplatz an der Forckenbeckstraße um gemeinsam zu trainieren. Offiziell wurde als „Trainingsgruppe“ gestartet und am 16. Mai das erste Spiel der Berliner Geschichte gegen die SG Brandenburg, in Potsdam angepfiffen. Nach dem historischen 24:17 Sieg wurde der legendäre Ausspruch geprägt, „Du musst nicht weinen. Wir haben gewonnen!“ Wenige Tage später gab es eine erste gemeinsame Trainingseinheit mit den Spielerinnen des Berliner Rugby Clubs. Hieraus entstand wenige Wochen vor der ersten Deutschen Meisterschaft die Spielgemeinschaft Berlin, genannt Berlin Rugby GRRLS. Die Deutsche Meisterschaft endete für das Team mit einem achtbaren vierten Platz und der Erkenntnis: „Nächstes Mal wollen wir aufs Treppchen!“ Was auch direkt bei der Landesverbandsmeisterschaft als Auswahlmannschaft des Berliner Rugby Verbands gelang. Verstärkt um drei Mädchen vom RK03, gelang souverän der dritte Platz – Silber wurde im 7er Wettbewerb nur um Haaresbreite verpasst. Diese Medaille wurde dann am nächsten Tag gemeinsam mit NRW im 15er Deutschland Pokal errungen.

Direkt nach diesen Erfolgen entschloss sich der Vorstand des BSV 1892, der „Trainingsgruppe“ den Status einer offiziellen Mädchenmannschaft zu geben. Der Jubel im Team war groß!

Das eigentliche Geschenk des Jahres kam aber dann aus London. Laura Ash (Head of Girls Rugby Richmond FC), schrieb uns in ihrer Mail, „So cool, was Ihr da macht, kommt uns doch auf ein Spiel, gemeinsames Training und einen Austausch besuchen.” und trotz Wirtschaftskrise und hohen Kosten, gelang es uns, mit Hilfe engagierter Eltern, eines tollen Fördervereins und dem unbändigen Willen aller Beteiligten, ein Team, mit zwei Trainern und einem Betreuer, nach London zu entsenden.

Richmond FC erwiesen sich als wunderbarste Gastgeber. Überall, wo wir auftauchten, wurde für uns gesorgt. Wir wurden zum Championshipspiel der Männer eingeladen , tauschten uns mit den Richmond Mädchen im Pub aus und hatten eine unvergessliche Frage & Antwort Session mit der einzigartigen Zainab Alema (erste praktizierende muslimische Frau im Profirugby), Kira Marks (Schlussspielerin der Frauen von Richmond FC), Laura Kapo (Loose-Head-Prop)und der wunderbaren Penny Carr (Tight-Head-Prop). Am Ende wurden Trikots, Mützen, Schals und alles getauscht und signiert, was nicht niet- und nagelfest war.

Eigentlich wäre unsere Reise dann am Sonntag Abend, nach einem Besuch im Twickenham Stadium, zu Ende gegangen, doch machte uns ein plötzlicher Schneesturm einen Strich durch die Rechnung. Als wir bereits unser Gepäck auf dem Flughafen Gatwick eingecheckt hatten, wurde unser Flug ersatzlos gestrichen. Nun saßen wir dort, ohne Gepäck, ohne Flug, ohne Hotel und mit einem drohenden Generalstreik zwei Tage später vor Augen.

Wieder waren es die guten Geister, die uns retteten – dieses Mal in Gestalt der Ehefrauen der Trainer, die Zuhause saßen und das Wunder zu Stande brachten, Unterkunft für ein ganzes Rugbyteam zu organisieren, und es tatsächlich auch schafften, uns am Dienstag auf die letzten freien Plätze in einem Flieger nach Deutschland zu quetschen. Über Hamburg ging es dann zurück nach Berlin, wo die Letzten kurz vor Mitternacht eintrudelten. Wir wären kein echtes Rugbyteam, hätten wir nicht das Beste aus den zwei gewonnen Tagen in London gemacht. Weihnachtseinkäufe, lange Stadtwanderungen an den Sehenswürdigkeiten entlang, ein Besuch im Imperial War Museum, zwei legendäre Schneeballschlachten (eine davon noch um Mitternacht auf dem Weg zurück vom Flughafen in den menschenleeren Londoner Straßen) , Mathenachhilfe im Zug, Essen beim Inder und, und, und… und vor allem ganz viel Zeit mit dem besten Rugbyteam der Welt: Berlin Rugby GRRLS!

Bericht:
Martin U. K. Lengemann